ChancenZeit – ein zukunftstaugliches Konzept?

Am 3. Dezember 2024 hatte der Politik-Leistungskurs des 12. Jahrgangs die Möglichkeit, Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung über die Einführung eines verpflichtenden gesellschaftlichen Dienstes sprechen zu hören. Er warb dabei für die Idee einer sozialen Pflichtzeit und stellte seine Perspektive auf das Thema dar. Bundespräsident Steinmeier begrüßte den offenen und vielfältigen öffentlichen Diskurs zum Thema ausdrücklich und beschrieb ihn als erfrischend ernst und kontrovers. Diese Einschätzung stand jedoch im Gegensatz zur Veranstaltung selbst, die weitgehend harmonisch und wenig kontrovers verlief. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Pflichtzeit blieb weitgehend aus. Zwar thematisierte der Bundespräsident kurz die Kritik, laut der ein verpflichtendes Jahr jungen Menschen das Gefühl vermitteln könnte, ihnen werde Lebenszeit genommen – insbesondere in einer Generation, die sich durch die Einschränkungen der Coronapandemie bereits stark in ihrer Selbstbestimmung beeinträchtigt sieht. Fragen nach der Verhältnismäßigkeit und der Bedeutung von Freiwilligkeit für die Wirkung eines sozialen Dienstes blieben jedoch unbeantwortet.

„Trotz einer Welt aus Moos, geht selbstlos das Selbst los.
Mich interessiert, dass
Zu geben bringt mir was,
sich einbringen bringt was ein,
keiner allein.“

Bas Böttcher trägt zum Beginn der Veranstaltung eines seiner Gedichte vor. Ein ganz besonderes Stück mit dem Titel „Die Win-Win-Win-Win-Win-Situation“, welches mit Sicherheit zu einem der Highlights der Veranstaltung gezählt werden kann.

Anschließend kam das prominent besetzte Panel ins Gespräch: Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, sowie Vanessa Michalski, Reservistin und ehemalige Freiwilligendienstleistende bei der Bundeswehr, teilten ihre persönlichen Erfahrungen, Wünsche und Positionen. Von den Diskutierenden sprach sich lediglich Eva Maria Welskop-Deffaa gegen eine verpflichtende Dienstzeit aus. Sie lehnte jedoch auch Anreize ab und betonte, dass es vielmehr einer „Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit“ bedürfe. Trotz dieser Meinungsverschiedenheit wirkte die Debatte insgesamt wie ein Gespräch unter Gleichgesinnten.

Besonders die Bundeswehr spielte hierbei eine große Rolle: Laut den Diskutierenden braucht sie perspektivisch eindeutig eine Verpflichtung aufgrund des Personalmangels. Allerdings wurde zeitgleich deutlich, dass die Bundeswehr derzeit nicht die Kapazitäten hat, eine solche Menge neuer Dienstleistender aufzunehmen. Hier brachte Johannes Winkel den Vorschlag einer Kontingentwehrpflicht ein. Festgestellt wurde, dass es einen grundlegenden Informationsmangel gibt, der dafür sorgt, dass vor allem junge Menschen nicht hinreichend über ihre Möglichkeiten informiert sind. Darüber hinaus wurde eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung herangezogen, die aufzeigt, dass viele junge Menschen ein Problem mit der Wortwahl von „Pflicht“ und „Zwang“ haben. So entstand der Name der Veranstaltung: „Chancenzeit“.

Hr. Davis

Zuletzt wurde angesprochen, wie wichtig eine gute Betreuung und Begleitung junger Menschen im sozialen Dienst wäre, sowie, dass sie nicht als „billige Arbeitskräfte“ eingesetzt werden sollten. Im Schlusswort bestand Einigkeit darüber, dass der politische Wille, das Thema voranzutreiben, vorhanden sei.

Während der Panel-Runde erhielten Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, ihre im Vorfeld erarbeiteten Konzepte, Fragen und Ideen in die Diskussion einzubringen. Dies bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, auf die Anliegen einzugehen und nach eigenen Aussagen eventuelle Sorgen der Jugendlichen zu entkräften. Auch unser Kurs bekam die Chance sich mit einem Wortbeitrag in die Debatte einzubringen. Durch Fiona Clark hatten wir die Möglichkeit, unsere Bedenken zur Kenntnis zu geben. Ein verpflichtender Dienst könnte die Qualität der Arbeit in sensiblen Bereichen wie der Altenpflege beeinträchtigen, wenn unmotivierte oder unqualifizierte Personen dazu verpflichtet würden, Aufgaben zu übernehmen, die Hingabe, Fürsorge und Feingefühl benötigen. Allerdings war uns wichtig ebenfalls rückzumelden, wie bedeutend es ist, in einer stark individualistischen Gesellschaft den sozialen Zusammenhalt zu stärken und jungen Menschen zu verdeutlichen, dass ihr Handeln direkte Auswirkungen auf das Gemeinwohl, gesellschaftliche Prozesse, sowie das politische und soziale Geschehen hat.

Obwohl die beigetragenen Fragen der Schülerinnen und Schüler weitestgehend beantwortet wurden, blieben viele grundlegende Fragen offen: Sollte es eine Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst und sozialer Arbeit geben? Wie lange müsste ein solcher Dienst dauern? Könnte er in Abschnitten abgeleistet werden, oder müsste er am Stück erfolgen? Und sollte er sich nur an junge Menschen richten oder auch an Personen in anderen Lebensphasen? Konkrete Antworten gab es nicht. Zwar wurde betont, ein zukünftiges Gesetz solle sich an den Wünschen der Bevölkerung orientieren, doch die Konturen eines solchen Konzepts blieben vage.

Interessanterweise kamen die präzisesten Vorschläge aus dem Publikum, insbesondere von den Schülerinnen und Schülern.

Insgesamt war die Veranstaltung äußerst interessant und aufregend, allein durch die Möglichkeit den Bundespräsidenten persönlich sprechen hören zu dürfen. Es handelte sich allerdings weniger um eine kontroverse Diskussionsrunde als vielmehr eine Plattform zur Werbung für die Idee der sozialen Pflichtzeit – gefüllt mit namhaften Gästen, aber ohne tiefgreifende Debatte.