Wortbeiträge der Schüler*innen:
Die Erinnerung an vergangene Ereignisse ist in unserer heutigen Gesellschaft ein immer wiederkehrendes und wichtiges Thema. Die Bedeutung des Gedenkens wird dabei beispielsweise durch die Präsenz von Politiker*innen oder andere Prominente an Gedenktagen verdeutlicht, aber auch an der Darstellung in den Medien und der Aufarbeitung durch Menschen, die sich ehrenamtlich und in ihrer Freizeit zum Beispiel in Stolperstein-Initiativen engagieren. Gleichzeitig führt diese scheinbar ständige Präsenz aber auch dazu, dass man des Öfteren Sätze wie „Haben wir damit jetzt nicht mal langsam abgeschlossen?” oder „Nicht schon wieder dieses Thema!“ hört. Solche Aussagen fallen auch oft in Verbindung mit dem Erinnern an die Verbrechen der Nationalsozialisten und werden auch durch Jugendliche geäußert.
Dennoch ist das Gedenken an die Vernichtung der Jüdinnen und Juden im Dritten Reich wichtig für unsere Gesellschaft. Durch die Erinnerung an den Holocaust wird nämlich eine Präsenz des Themas in der Gesellschaft geschaffen, die die Menschen zum Nachdenken und verantwortungsvollen Handeln bringen und dafür sorgen soll, dass sich ähnliche Taten nie mehr wiederholen können. Auch kann und sollte diese Präsenz dazu beitragen, dass antisemitisches und rassistisches Gedankengut keine Wurzeln schlagen kann. Gerade in Zeiten, in denen nationalistische und geschichtsrevisionistische Kräfte in der Politik vieler Länder Auftrieb erfahren.
Mit der heutigen Verlegung des Stolpersteins möchten wir zu diesem bewussten Denken und Handeln beitragen. So beschreibt die Stolpersteine Initiative München, welche nur eine von vielen Initiativen in Deutschland darstellt, die Begegnung mit einem solchen Stein folgendermaßen:
„Ein Blinken und Blitzen im Bürgersteig – man bleibt stehen, bückt sich, liest einen oder mehrere Namen, die Geburts- und Todesdaten einer Frau, eines Mannes oder Kindes. Man hält inne, für einige Augenblicke spürt man ein Entsetzen, bis der Verstand es erfasst: Während der Nazizeit sind aus diesem Haus Bewohner verschleppt worden. Es sind keine anonymen Zahlen, es wird an das individuelle Schicksal erinnert. Nur wenige kamen zurück, die meisten wurden in Konzentrationslagern ermordet.“
Mit diesen STOLPERsteinen soll also ein gedankliches und emotionales Stolpern der Passant*innen bewirkt werden.
Stolpersteine als eine Form des Erinnerns bilden so zum einen kleine, aber zahlreiche Mahnmale in der Öffentlichkeit, und geben gleichzeitig den unzähligen Opfern des Nationalsozialismus Ihre Namen zurück. Statt Zahlen in einer Statistik wird so an individuelle Schicksale, wie beispielsweise das von Lucie Juliusburger erinnert.
Sie wurde, wie so viele Menschen, von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet. Leider haben wir keine Aufzeichnungen von Lucie Juliusburger und können somit nicht ihre persönlichen Gedanken teilen. Dafür möchten wir Ihnen Zitate von anderen Verfolgten des Nazi-Regimes vorstellen. Von Menschen, die entrechtet, anonymisiert und ermordet wurden. Teilweise sind dies Erinnerungen von Überlebenden, oder aber gefundene Schriftstücke von Ermordeten. Dadurch, dass diese Menschen ein ähnliches Schicksal wie Lucie erfahren haben, möchten wir IHR durch sie eine Stimme geben.
Lucie Juliusburger wurde, wie so viele Menschen, von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet. Leider haben wir keine Aufzeichnungen von Lucie Juliusburger und können somit nicht ihre persönlichen Gedanken teilen. Dafür möchten wir Ihnen Zitate von anderen Verfolgten des Nazi-Regimes vorstellen. Von Menschen, die entrechtet, anonymisiert und ermordet wurden. Teilweise sind dies Erinnerungen von Überlebenden, oder aber gefundene Schriftstücke von Ermordeten. Dadurch, dass diese Menschen ein ähnliches Schicksal wie Lucie erfahren haben, möchten wir IHR durch sie eine Stimme geben.
Juden sollte in der NS-Zeit ihre Individualität genommen und sie sollten entmenschlicht werden. Zunächst wurden sie verpflichtet zusätzlich den Vornamen Sara bzw. Israel zu führen. Im Konzentrationslager hatten sie dann keine Namen mehr, sondern sie waren nur noch Nummern.
Wie wichtig es war, dieser Entmenschlichung entgegenzuwirken, zeigen folgende Zitate:
Fanja Barbakov schrieb an einen unbekannten Empfänger, wahrscheinlich ein Freund der Familie:
"Wir liegen alle in einer Grube. Ich bin stolz, denn ich bin eine Jüdin. Ich sterbe für mein Volk"
SIe ließ sich den Stolz nicht nehmen, auch wenn sie bald sterben würde.
Moschia schrieb an einen unbekannten Empfänger:
"Unser Ende kommt immer näher. Wir spüren und wir wissen das. Wir sind keine Menschen mehr, wir sind Tiere. Wir haben jedes menschliche Gefühl verloren."
Man spürt die Hoffnungslosigkeit und die Verzweifelung in dem Brief: Das Wissen, sterben zu müssen und der Verlust dessen, was uns als Mensch ausmacht.
Diesen Brief schrieb Sarah Gerlitz an ihre Tochter Dita. Sie ließ ihre Tochter bei einem Freund, um sie zu retten. In dem Brief möchte sie ihrer Tochter erklären, weswegen sie ohne Mutter aufwächst und warum sie sich als Mutter so entschieden hat:
"Ich möchte, dass Du noch etwas weißt, nämlich, dass Deine Mutter ein aufrechter Mensch war, trotz aller Erniedrigungen, die unsere Feinde auf uns herabgelassen haben, und wenn wir sterben müssen, wird sie sterben ohne zu verurteilen, ohne zu weinen, sondern wird ein Lächeln der Verachtung gegen ihre Henker auf ihren Lippen tragen"
Auch Lucie war von dem NS-Gesetz zum Tragen des zusätzlichen Namens betroffen, wie wir den Deportationslisten entnehmen können. Hier wird sie als Lucie Sara Juliusburger geführt. Die Auswirkungen dieses Gesetzes zeigen die folgenden Zitate.
Hedwig Jastrow, eine deutsche Lehrerin jüdischen Glaubens beging Selbstmord, um der Zwangsumbenennung zu entgehen. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie:
"Ich will nicht leben ohne Vaterland, ohne Heimat, ohne Bürgerrecht, geächtet und beschimpft. Und ich will begraben werden mit dem Namen, den meine Eltern mir gegeben und teils vererbt haben und auf dem kein Makel haftet. Ich will nicht warten, bis ihm ein Schandmal angehängt wird."
Eine politische Gefangene aus Polen, die in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, sagt:”Ich wünsche euch, dass ihr immer eure Namen behalten dürft und nicht zu einer Nummer werdet”
Lucies Bruder Kurt gelang die Emigration. Für jene, für die es überhaupt noch möglich war, mehr oder weniger frei über eine Auswanderung zu entscheiden, war dies ein schwerer Prozess. So erinnert sich z.B. Yitzhak Schwersenz an die schwierige Emigration:
"Die Alten, das heißt Eltern, Verwandte waren der Meinung, "Nein, wir bleiben hier, das ist unsere Heimat, das ist unser Vaterland" "Ich kämpfte für unser deutsches Vaterland, mein Kind" regte sich mein Vater "Wir bleiben hier", sodass ein großer Teil gar nicht die Absicht hatte und daran dachte zu gehen. ... Oder wie mein Vater den Ausdruck gebrauchte, er wird sich bald das Genick brechen und einen dummen Satz, wie er sagte "die Welt wird das nicht zulassen... Was lässt die Welt nicht alles zu. Wer ist die Welt. Was ist die Welt."
Doch wieso ist Gedenken nun eigentlich, für alle, aber auch spezifisch für unsere Generation, so wichtig? Diese Frage wollen wir nun noch klären.
Menschen erinnern sich an Ereignisse, damit diese nicht in Vergessenheit geraten. Man muss jedoch auch dazu bereit sein, Verantwortung für vergangene Ereignisse zu übernehmen. Es ist gerade für unsere jüngere Generation wichtig, sich mit Themen wie dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinanderzusetzen, da diese schlimmen Ereignisse sonst in Vergessenheit geraten würden. Viele Zeitzeugen, die die 30er und 40er Jahre bewusst miterlebt haben, sind mittlerweile von uns gegangen oder sind zu alt, um ihre oft so schrecklichen Geschichten zu erzählen. So schwindet der direkte Bezug, die persönliche Geschichte, das individuelle Schicksal.
Zwar herrscht in Deutschland gerade auch in Bezug auf den Nationalsozialismus eine recht rege und vielfältige Erinnerungskultur, dennoch muss aber erwähnt werden, dass bei vielen das Geschichtsbewusstsein zu wenig ausgeprägt ist. Dies zeigt, dass auch bei uns weiterhin Aufklärungsarbeit und die nachhaltige Erinnerung an vergangene Taten und Verbrechen wie den Holocaust nötig sind, um die Menschen dafür zu sensibilisieren und dies in der Zukunft verhindern zu können und. Dies ist nicht nur bei uns wichtig. Es gilt auch für Verbrechen, die an anderen Orten dieser Welt geschehen sind. Denn nur wenn ein Geschichtsbewusstsein über die Taten der Vergangenheit vorliegt, können wir zu einer gerechteren und friedlicheren Zukunft gelangen.
Beenden wollen wir unseren Redebeitrag mit einem Zitat von Erich Kästner bezüglich der Bedeutung des Gedenkens. Er sagte einmal: „Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm.” Dieser Satz verdeutlicht die Bedeutung des Gedenkens und Erinnerns. Durch die Auseinandersetzung mit Geschichte können und müssen wir Schlüsse für das eigene Handeln und Verhalten in der Gegenwart und für die Zukunft ziehen.
Gelsenkirchen, Bonn, Münster, Düsseldorf, Nordhausen, Ulm - die Liste antisemitischer Anschläge auf Synagogen und Mahnmale wächst, seitdem der Nahost-Konflikt eskaliert. Eine Sorge, auf die die Politik mittlerweile reagiert. Die Kanzlerin ließ vergangenen Monat über Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen, dass der Angriff auf jüdische Einrichtungen keine Kritik an einem Staat und einer Regierung sei, sondern ein Ausdruck von Hass gegenüber einer Religion und denjenigen, die ihr angehören. Der nationalsozialistische Antisemitismus kostete über 6 Millionen Juden das Leben. Die Geschichte vieler Opfer ist nicht bekannt, wie bis vor Kurzem, auch die von Lucie Julisburger.
Sie wird am 9. April 1897 in Berlin geboren. Ihre Mutter Fanny Juliusburger kommt aus Niederschlesien und ihr Vater Ismar Juliusburger aus Oberschlesien. Beide sterben in Berlin. Lucie Juliusburger hat zwei Schwestern und drei Brüder. Ihr einer Bruder Kurt wandert später in die USA aus, der andere Bruder Felix gilt seit seiner Deportation 1942 als verschollen. Lucie lebt zunächst in der Wohnung ihrer Eltern in der Schönhauserallee.
Vor der Konsolidierung des Nationalsozialismus arbeitet sie als Buchhalterin bei Siemens. Der am 7. April 1933 erlassene Arierparagraph, der den Nachweis nichtjüdischer Abstammung verlangte, bedeutete für viele Menschen Berufsverbot, so auch für Lucie. Sie verliert ihre Stelle und zieht zu ihrem Bruder Kurt Juliusburger in die Pradelstraße 18. 1939, mit 42 Jahren ist sie dort auch offiziell gemeldet. Vermutlich plant Kurt zu diesem Zeitpunkt schon in die USA auszuwandern und gibt daher seine Wohnung auf. Der Onkel von Kurts Frau bürgt für ihn und seine Familie und besorgt ihnen ein Visum. Kurt Juliusburger wandert mit seiner Familie in die USA aus, Lucie bleibt in Berlin zurück und zieht 1940 in die Wolfshagenerstraße. Es ist davon auszugehen, dass der Umzug von der Pradelstraße in die Wolfshagenerstraße nicht freiwillig und nicht allein aufgrund von finanziellen Nöten geschieht, sondern bedingt durch die Ausgrenzung und Erniedrigung durch die Nationalsozialisten.
Seit 1940 werden alle arbeitsfähigen Juden und Jüdinnen zur Zwangsarbeit verpflichtet. Lucie, die zuvor Buchhalterin bei Siemens war, ist dort vom 3. Juni 1940 bis zum Februar 1943 als Zwangsarbeiterin tätig. Während dieser Zeit muss sie erneut umziehen. Sie wohnt nun in der Schönhauserallee 186, ein Haus, das damals als „Judenhaus“ bezeichnet wird. Diese Bezeichnung wird in der damaligen nationalsozialistischen Behördensprache einem Haus gegeben, in das ausschließlich jüdische Mieter und Untermieter einquartiert werden. Lucie Juliusburger wird bei einer der Fabrikaktionen verhaftet, worunter wir heute die letzten Deportationen von Berliner Juden verstehen und am 1. März 1943 nach Auschwitz überführt. 1943, mit 46 Jahren wird Lucie Juliusburger in Auschwitz ermordet. Sie erhält keine Häftlingsnummer, wird also wahrscheinlich direkt nach ihrer Ankunft ermordet. Ihr Leichnam wird eilig verbrannt und mit der Asche von vielen anderen Opfern des Nationalsozialismus verscharrt. Ihr Leidensweg blieb für 78 Jahre unentdeckt.
Kann die Würde eines Menschen schlimmer verletzt werden?