Ehrung für Dieter Wohlfahrt – Gedenken an eine schmerzhafte Zeit in unserer Schulgeschichte

Die Berliner Mauer ist bis auf wenige Meter in der Bernauer Straße an der Gedenkstätte Berliner Mauer aus der Stadt verschwunden. Auch der Erhalt dieses Ortes realer Geschichte war in Berlin in der Zeit der Errichtung der Gedenkstätte in den 1990er-Jahren heftig umstritten. „Die verhasste Mauer unter Denkmalschutz zu stellen – dies schien vielen Berlinern makaber. Das Bemühen um eine Vergegenwärtigung der Geschichte kollidierte mit dem Verlangen nach einem Schlussstrich.“[1]

 

Auch das Schicksal der Menschen, die zwischen 1961 und 1989 an der betonierten Teilung der Stadt ihr Leben als Mauertote ließen, verschwindet zunehmend aus der Erinnerung vieler. Im Gedächtnis der Stadt sind diese Opfer dennoch eingebrannt. Während das Schicksal des an der Mauer verbluteten Peter Fechters im August 1962 die internationale Öffentlichkeit empörte und die Brutalität des DDR-Regimes aufzeigte, hatte die Berliner Öffentlichkeit bereits zuvor ein anderes Opfer empört und bewegt: Im Dezember 1961 wurde der 20-Jährige Dieter Wohlfahrt im Todesstreifen in Staaken ermordet. Im Gegensatz zu Peter Fechter waren jedoch weder TV-Kameras vor Ort, noch konnte das Maueropfer noch ein Lebenszeichen von sich geben. Ein Offizier der britischen Streitkräfte, die (West-)Berliner Polizei und Helfer Dieter Wohlfahrts konnten ihm nicht mehr zu Hilfe kommen. Sie wurden von Grenzposten der DDR unter Androhung von Gewalt mit der vorgehaltenen Schusswaffe daran gehindert.

 

Kaum mehr präsent ist heute vielen das Schicksal dieses 20-Jährigen. Der junge, ehemalige Schüler unserer Schule, Dieter Wohlfahrt, ließ am 9. Dezember 1961 sein Leben als zehntes Maueropfer am Todesstreifen zwischen Staaken und Berlin (West). Er opferte sein Leben bei der Durchführung eines Fluchthilfeversuchs, den er gemeinsam mit seinem Freund und Helfer Karl-Heinz Albert organisiert hatte. Die Erinnerungen an Dieter Wohlfahrt, dem bis zu Beginn der 1980er-Jahre in einem unserer naturwissenschaftlichen Fachräume mit einem Bild gedacht wurde, verblassten im Wandel der Zeit, und durch räumliche Veränderungen in der Schule, auch bei uns.

 

Am 9. Dezember 2011 jährte sich zum 50. Mal die Ermordung unseres ehemaligen Schülers. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte Dieter Wohlfahrt bereits vielen Menschen – auch Schülern unserer Schule – zur Flucht aus Ostberlin oder der DDR in den Westteil Berlins verholfen, häufig durch die Kanalisation. Die Schüler unserer Schule, die im Ostteil der Stadt wohnten und nicht die Möglichkeit hatten dort ihr Abitur abzulegen, wurden zu dieser Zeit bei uns in den zuvor eigens dafür eingerichteten „Ostklassen“ zusammen unterrichtet und zum Abitur geführt, um ihnen eine Perspektive für die Zukunft zu bieten.

 

Th. Koch, Kursleiter des Grundkurses Geschichte



[1] Edgar Wolfrum, Die Mauer, S. 385 – 401, hier S. 401, in: Etienne François, Hagen Schulze, Deutsche Erinnerungsorte. Eine Auswahl, München 2005.