Kunst und Philosophie im öffentlichen Raum

Was am Ende des Jahres bleibt...

Wir wollen am Wandertag vor den Weihnachtsferien Kunstwerke im öffentlichen Raum kunsthistorisch verorten und philosophisch bewerten.

Los geht es: bei Sonne und eiskalten Temperaturen mit der neu eröffneten U5 vorbei an Museumsinsel bis hin zur Haltestelle Reichstag. Feine Stationen, schöne Materialien, hin zu unserer ersten Station, der ehemaligen Kongresshalle, dem heutigen Haus der Kulturen der Welt.

Die letzte große Skulptur von Henry Moore „Butterfly“ aus dem Jahr 1986 ist hier ideal platziert und nimmt die Deckenkonstruktion der ehemaligen Kongresshalle auf. Die polierte Bronze, die von der Seite fast wie eine massive Kugel aussieht, entwickelt sich beim Umrunden zu einem dynamischen Zusammenspiel von Flächen und Kurven. Proportionsverzerrungen, Drehungen, Dehnungen, Verkleinerungen und Vergrößerungen, Verdickungen und Verdünnungen sind die Mittel seiner Wahl.

Direkt nebenan stoßen wir auf die Werke einer Künstlergruppe aus Unterfranken, die auf dem Gelände zwischen Reichstag und Kanzleramt vom Oktober 1961 an, ein Gelände, das damals noch eine unwirtliche Brache war, ein Zeichen der Demonstration gegen den Bau der Mauer. Künstlerisch sprechen sie uns weniger an, erinnern uns mehr daran, dass Kunst auch ein Mittel politscher Kritik ist.

Vorbei am Bundeskanzleramt und Edurardo Chillidas Plastik, die eine widersprüchliche Symbiose zwischen Monumentalität und Offenheit eingeht. Die Skulptur ist verständlich, ohne plakativ zu sein. Im Jahr 1969 erschien Heideggers neunseitiger Aufsatz „Die Kunst und der Raum“, den der Philosoph dem spanischen Bildhauer widmet. „Der Raum, innerhalb dessen das plastische Gebilde wie ein vorhandener Gegenstand vorgefunden werden kann, der Raum, den die Volumen der Figur umschließen, der Raum, der als Leere zwischen den Volumen besteht – sind diese drei Räume in der Einheit ihres Ineinanderspielens nicht immer nur Abkömmlinge des einen physikalisch-technischen Raumes, auch wenn rechnerische Abmessungen nicht in das künstlerische Gestalten eingreifen dürfen? Einmal zugestanden, die Kunst sei das Ins-WerkBringen der Wahrheit und Wahrheit bedeute die Unverborgenheit des Seins, muß dann nicht im Werk der bildenden Kunst auch der wahre Raum, das, was sein Eigenstes entbirgt, maßgebend werden?“ (Martin Heidegger in „Die Kunst und der Raum“).

Wenige Schritte weiter erwarten uns die nächsten öffentlichen Denkzeichen. Wir beginnen mit der Westfassade der Schweizerischen Botschaft, die man zuerst übersehen mag. Erst bei längerem Betrachten erkennen wir die Proportion und Komposition, die wie tote Fenster oder vermauerte Reliefs wirken. Interessanter ist das Werk der schweizerischen Videokünstlerin Pipilotti Rist, die in die Decke des Eingangsbereichs der Botschaft eine Apparatur eingesetzt hat, aus der alle 12 Minuten ein Laubblatt herabschwebt, das in verschiedenen Formen (Ahorn, Eiche, Ginko, Linde, Lorbeer, Wein) ausgestanzt ist und auf der Rückseite eine Sentenz, eine Metapher in eine der vier Landessprachen enthält. Das Verbreiten der blättrigen Botschaften ist durchaus erwünscht und von der Künstlerin als Allegorie für Demokratie gemeint. Offen und flüchtig, einer unserer Favoriten!

Hinter dem südlichen Teil des Paul-Löbe-Hauses entdecken wir zwei Neonleuchtfiguren von Neo Rauch. Irritierend: Die Figuren sind auf einander gegenüberstehenden Wänden angebracht, so dass es zu irritierenden Spiegelungen kommt. Weitere Stationen sind Moracolo von Marino Marini, das von Dani Karavan errichtete Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, das Georg-Elser-Denkzeichen, dessen ziviler Ungehorsam wieder stärker in den Blick rückt.. Wir kommen dann zum Schaufenster des Deutschen Bundestages in 2 der Wilhelmstraße. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt man das Werk „Reflektor“ von Jakob Mattner. Die Arbeit liegt hinter einer großen Glasscheibe. Viele schmale, rotierende Spiegelflächen, die uns als Betrachter einfangen, beweglich machen. Was am Ende bleibt und was in Zukunft kommt? Wir dürfen neugierig sein.

Ein frohes neues Jahr 2022 wünscht der LK Philosophie mit Mathilda, Zara, Tare, Denis, Justus, Louis, Lisa und Yasin, Rosa, Philipp, Aida und Freya